Soeben habe ich meine Urlaubslektüre „Heute hat die Welt Geburtstag“, ebenso wie den Urlaub, rundum zufrieden beendet. Der Autor des Buches, Flake, ist der Tastenspieler der Band Rammstein. Wem das nichts sagt: Die Band singt auf deutsch, steht für martialisch harte Rockmusik und ist für seine aufwendigen Bühnenshows mit viel Pyrotechnik bekannt und international erfolgreich. Ein deutscher Exportschlager, wenn man so will. Das Buch gibt, wie der Klappentext verrät, Einblick in einen typischen Tournetag der Band, aus der ganz persönlichen Sicht des Autors geschrieben. Sehr deutlich wird eine Intention des Autors, nämlich das oft glorifizierte Leben eines Rockstars auf den materiellen Boden der alltäglichen Realität zurückzuholen. Wenn etwa der Reissverschlüss eines Bühnenoutfits klemmt steht eben kein livrierter Diener bereit, der einem eine neue Jacke geben würde, sondern es wird zu einem persönlichem Problem, für dass er eine Lösung finden muss. In der Sicht der Fans scheinen die „Sterne“, also die Stars, solchen Problemen gerne meilenweit enthoben, auch für die Musiker ist es nicht einfach nach den zwei Stunden eines Konzertes, in denen sie wie Götter gefeiert werden, wieder in die Bedeutungslosigkeit eines einzelnen Menschen in einer Menschenmenge zurückzukehren. Reisen, sich zurechtfinden, orientieren und warten erscheint als dasjenige, was ein Musikerleben, zumindest auf einer Tournee ausmacht. Müssten Musiker ein Assessment-Center durchlaufen, so frage ich mich nebenbei, mit welchens Übungen würde die Eignung für diesen Beruf ermittelt? Für Flake ist das Musiker-sein allerdings kein Beruf, doch dazu später mehr. Tiefe bekommen die Schilderungen durch die Kontrastierung mit den Anfängen der Band, als sie als eine unbekannte Ostband über die Dörfer gefahren sind, um in den dortigen Kulturhäusern aufzutreten. Die guten Hotels, das hofiert und chauffiert werden, ist dem Autor alles andere als selbstverständlich. Man spürt seine Dankbarkeit über die erolgreiche Karriere der Band, ebenso scheint er eine kindliche Neugier, Verwunderung und Unbefangenheit im Umgang mit Situationen und Erlebnissen bewahrt zu haben. Damit vermag der Autor viel Sympathien für sich zu gewinnen. Das Understatement, mit dem er seine Erlebnisse schildert, deutet darüber hinaus auch darauf hin, dass er sehr genau weiß, was er macht und warum er es macht. Unterm Strich wirkt er sehr zufrieden mit sich und seinem Leben. Aus der Perspektive des Zürcher Ressourcenmodells betrachtet, läßt sich anhand der Schilderungen gut illustrieren, was es bedeutet eine Haltung zu haben.
1) Ich bin Musiker.
Das bedeutet Flake macht nicht etwas, nämlich Musik, sondern er identifiziert sich mit etwas. Musiker sein ist daher für ihn kein Beruf, so wie es ja auch kein Beruf sei erwachsen zu werden oder eine Frau zu lieben. Auch wenn er in jüngeren Jahren einen Beruf erlernt hat und für seinen Lebensunterhalt arbeiten musste, ist die Aussage eine Haltung, mit der er viele Verhaltensweisen erklärt und begründet. Zum Beispiel, warum er in einem Büro im Grunde nichts verloren habe, sein befremden, soetwas wie „Meetings“haben zu müssen. Diese Haltung hatte er auch schon, als er noch nicht von der Musik leben konnte, da hatte es den Charakter eines Motto-Ziels, als etwas, dass es noch zu erreichen gäbe.
2) Misserfolge sind Lernprozesse
Der Weg dahin, international auf Top-Niveau dabei zu sein, ist gepflastert von Fettnäpfen und Fehlschlägen. Wie konnte man auf dem Weg zu einem Vertrag die Vertreter der Plattenfirma nur zu einem Konzert nach Hamburg einladen, wo niemand die Band kannte und sie entsprechend kaum Publikum hatten? Der erste Vertrag wurde dann aus lauter Freude unterschrieben – und waren überrascht, zu welchen Verzriebsaktivitäten sie sich da alles verpflichtet hatten. Ganz zu schweigen von den vielfältigen Unfällen beim Einsatz von Pyrotechnik, die ja auch erst dann so richtig lustig werden, wenn man sie einigermaßen gut überlebt hat.
3) Niederlagen stellen das Selbstbewusstsein nicht in Frage
Womit wir wieder bei Punkt 1) wären: Wenn unbewusste Bedürfnisse und bewusste Motive gemeinsam in eine Richtung zielen, entsteht eine „Zielabschirmung“ ein „goal shielding“. Es ist ein Kennzeichen einer Haltung, dass zuwiderlaufende Informationen, negatives Feedback, die Haltung nicht in Frage stellen. Auch wenn Konzerte katastrophal verlaufen sind, das Publikum nicht erricht worden ist und unzufrieden war, hat es das Selbstverständnis nicht geändert. Der Musiker, der schlecht gespielt hat, bleibt immernoch ein Musiker. Vielleicht ist es dieses Kennzeichen, was einen Profi vom Laien unterscheidet, nach persönlichen Niederlagen sich nicht in Selbstzweifeln zu ergehen, sondern sich schnell wieder herstellen zu können und sich weiter in die gewünschte Richtung zu entwickeln.
„Trotzdem bin ich Musiker geworden, so wie ich ein Junge geworden bin, unausweichlich und ohne persönlichen Einsatz. Ich finde das gut. Die ganze Zeit, egal ob ich Musik mache oder nicht.“ (S.344)
Ein schönes Fazit. Ein erfolgreich durchlaufener Rubikon-Prozess, würde ein ZRMler sagen.